Bis zuletzt war es schon kühn, auch nur von einer Fernreise zu träumen. Nach zwei Jahren Pandemie sollte es für mich und meinen Mann aber im März endlich in die USA gehen. Natürlich musste alles so geplant werden, dass im Worst Case möglichst wenige Stornogebühren fällig würden. Nach einer zusätzlich nervenaufreibenden Umbuchung aufgrund eines Streiks landeten wir schließlich nach neun Stunden tatsächlich in der „Windy City“ Chicago.
Direkt am Flughafen zog ich mir die ersten Dollarnoten. Eine fremde Währung im Geldbeutel zu haben und die Muttersprache nicht mehr zu hören, transportiert mich immer am schnellsten in das Urlaubserlebnis. Die USA sind für mich genau wie für die meisten ein Sehnsuchtsort. Ein Land voller Mythen und Klischees, Heimat von kulturellen Phänomenen, ein Paradebeispiel der Vielseitigkeit und Widersprüche. Wir machten zum St. Patrick’s Day einen Roadtrip und reisten in zwei Tagen von Illinois über Iowa nach Nebraska. Endlose Highways, gesäumt von Truckstops, Silos und Motels. Knallbunte Drinks in Mammutflaschen in den Tankstellen-Shops. Das Frühstücksbuffet erwartete uns mit Plastikgeschirr und jedem Klischee, das man von amerikanischem Essen kennt.
Nach etwa 1800 Kilometern waren wir zurück in Chicago. Das eiserne Knattern der U-Bahn, Sirenen und Hupen als permanente Begleiter, Wolkenkratzer, Häuserschluchten und grelles Lichtermeer – Großstädte in den USA sind noch mal eine andere Hausnummer als in Europa. Der urbane Stress steckt den Einwohner:innen in den Knochen. Alles ist laut und schnell, es gilt das Motto: Friss oder stirb! Das kann schnell überfordern, nämlich wenn die Reize überfordern, statt zu inspirieren. Doch wenn man das scheut, beraubt man sich auch dieser einzigartigen Momente: Begegnungen mit Menschen, das überraschende Lernen von Trivia und das Erlebnis, für einen kurzen Moment Teil eines fremden Alltags zu sein. Es ist diese Erfahrung, die jede:r Reisende kennt: Wenn man spürt, dass man ein wenig gewachsen und der eigene Horizont breiter geworden ist, weil man etwas über sich und andere gelernt hat. Zum Beispiel über den Punkrocksänger Tobin, von der Band Flatfoot 56, den ich in Chicago in seiner Lieblingspizzeria interviewt habe. Er erzählte mir, keine Musik zu machen sei für ihn „wie nicht atmen zu können.“ Ähnlich geht es mir mit dem Reisen, weil der Lohn letztlich immer größer ist als die Herausforderung.
Ihr findet mich auch hier:
- Facebook: @rockingletters
- Instagram: @rockingletters
Die Kolumne erschien erstmalig im April 2022 im PiG Stadtmagazin Böblingen/Sindelfingen
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!