„Now relax!“: Warum die Sache mit der Entspannung gar nicht so einfach ist und warum ich bei Massagen immer an mein Abendessen denken muss
Es gibt Dinge, die gelingen schlicht nicht auf Befehl, zumindest bei mir nicht. Zum Beispiel, sich gezielt in einen Zustand der Entspannung zu versetzen. Yoga-Gurus und Meditationsprofis mögen mir da widersprechen oder tönen „Alles eine Sache der Übung.“, aber glaubt mir, ich habe es probiert. Wenn allerdings im Kopf nicht nur ein Gedankenkarussell, sondern gleich ein ganzer Jahrmarkt läuft, ist das nicht so einfach.
Daher sind gezielt auf Entspannung ausgelegte Aktivitäten oder etwa Massagen für mich eine Herausforderung. Kürzlich lag ich im Italienurlaub auf der Massageliege und die Spa-Mitarbeiterin rief mir den altbekannten Imperativ entgegen: „Relax!“. Beinahe verzweifelt und vorwurfsvoll hat sie an meinen Beinen herumgeknetet, als könne sie meine Fähigkeit zur Entspannung so zutage fördern. Ich hatte schon mehrere Behandlungen dieser Art und egal wie ideal die Umstände sind, wie sanft die Musik im Hintergrund spielt und sich das Öl auf meinem Rücken ergießt: Die Gedanken sind oft lauter. Nun ist das wahrlich ein Luxusproblem, aber in einer Gesellschaft, die ständig von Entschleunigung, Achtsamkeit und Selbstfürsorge spricht, fühle ich manchmal fast wie eine Versagerin. Während andere sich scheinbar mühelos auf Gedankenreise an ihre Oasen begeben, hake ich mental To-do-Listen ab oder überlege, was ich noch fürs Abendessen einkaufen muss.
Gut gemeinte Bitten wie „Entspann dich einfach!“ helfen auch nicht wirklich. Denn ist ja nicht so, dass ich es nicht versuchen würde. Mit der Entspannung verhält es sich aber für mich ein wenig wie mit der Natürlichkeit oder Authentizität: Man kann sie nicht auf Knopfdruck anschalten und abrufen. Entweder man hat sie oder eben nicht. Natürlich gibt es Techniken, die helfen, aber wir Menschen sind einfach unterschiedlich. Andere sind vielleicht Profis in Sachen Entspannung und können (von Natur aus oder durch Übung) leicht runterfahren. Ich gehöre eher zur Sorte: Gedanklich ständig in Bewegung. Würde mir diese Eigenschaft nicht auch oft zugutekommen, würde ich mich wahrscheinlich dafür hassen. Stattdessen habe ich gelernt, dass das typische Overthinking, Planen und Vorausdenken genauso zu mir gehören wie die Zen-Energie zu Yoga-Lehrer Torben. Das wiederum gehört zur Selbstakzeptanz und diese ist ein großer Schritt in Richtung innere Entspannung. Und wenn ich bei der nächsten Spa-Behandlung an mein Moussaka-Rezept denke, ist das mein gutes Recht. Schließlich ist ein „Entspannungs-Zwang“ ein Widerspruch in sich, der auf keinem Spa-Menü steht.
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Die Kolumne erschien erstmalig im November/Dezember 2023 im PiG Stadtmagazin Böblingen/Sindelfingen
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