Ich habe mich kürzlich tätowieren lassen. Neben einem prägnanten Totenkopf ziert nun eine nicht minder düstere Meerjungfrau mit zwei Schädeln meinen Unterarm.
Solche Tattoos haben oft den wenig charmanten Namen „jobstopper“. Es ist die Bezeichnung für Tätowierungen an Stellen, die man nur schwer verstecken kann. Gerade im konservativen Arbeitsumfeld oder bei Positionen mit Kundenkontakt können sie ein Hindernis sein, teilweise leider auch heute noch. Für mich als selbständige Kreative ist das zum Glück kein Problem.
Ich verbrachte für meine neue Körperkunst sechs Stunden auf der Liege. Die summende Maschine und die kundigen Hände des Tätowierers ließen nach und nach ein Kunstwerk entstehen. Eine freiwillige Körperverletzung, die noch dazu ziemlich kostspielig ist.
Ich begann mich zu fragen:
Was ist nach all den Jahren, unzähligen Trends und dem Wandel der Gesellschaft immer noch der Reiz an Tätowierungen?
Für mich sind sie ein kompromissloser Ausdruck der eigenen Identität, ein ewiges Zeichen meines Stils und meiner Ästhetik. Ich hebe mich durch sie von der Masse ab. Obwohl Tattoos längst zum Mainstream gehören, schwingt für mich dabei auch immer noch eine Prise Rebellion mit. Im Club oder auf dem Konzert kräht natürlich kein Hahn danach, wie viel Tinte deine Haut ziert. In Luxushotels oder gehobenen kulturellen Einrichtungen ist das manchmal schon anders. Wer sich tätowieren lässt, lebt meiner Meinung nach auch immer die Sehnsucht aus, Teil einer Subkultur zu sein. Selbst wenn diese inzwischen bis in die Mitte der Gesellschaft gewachsen ist.
Kurz bevor mein Tattoo fertig war, blickte ich mich im Studio um. Neben mir wurde an dem Tag noch ein etwa 60-jähriger Mann tätowiert. Er bekam ein Cover-up (das Überstechen eines alten Tattoos mit einem neuen) in Form eines gigantischen Löwenkopfes. Er tauschte schwäbische Sprachnachrichten aus, die beiden Gast-Tätowierer unterhielten sich auf Spanisch, nebenan ließ sich jemand für ein Motiv an der Wade beraten. Tattoo-Studios und die Szene sind ein Mikrokosmos für sich: Es geht familiär und lustig zu, aber auch hoch konzentriert und ernsthaft. Menschen aus aller Welt, jeden Alters und Charakters treffen aufeinander, geeint in der Liebe zur Körperkunst. Ich finde es schön, ein Teil davon zu sein.
Danke an David Hernandez und das Tattostudio Heart of Gold Stuttgart für das tolle Motiv.
Headerbild: stock.adobe.com #212050283 | LIGHTFIELD STUDIOS (free)
Die Kolumne erschien erstmalig im Februar 2022 im PIG Stadtmagazin Böblingen/Sindelfingen.
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